Ein Blogbeitrag von Markus Deisenberger, Texte und Musikmanagement - www.deisenberger.com:Choräle von gestern, Jazz von morgen und Pop für die Ewigkeit. CD-Tipps für Liebhaber des Besonderen.
Kamasi Washington: „Epic“
Brainfeeder (rough trade)
Kamasi Washington habe dem Jazz quasi im Alleingang zum Comeback verholfen, schrieb der Spiegel in seiner Jahres-Bestenliste. Und auch wenn man trefflich drüber streiten kann, ob der Jazz überhaupt eines „Comebacks“ bedarf, ist das Lob keinesfalls übertrieben. Denn dieses über drei Stunden lange und monumentale Album „Epic“ ist tatsächlich, was sein großspuriger Titel verspricht: Episch ausufernd, größenwahnsinnig und genial zugleich. Ein dreistündiges Debut-Album? Da muss man erst einmal kräftig durchatmen. Das Außergewöhnliche aber ist: Die drei Stunden Jazz werden einem nie langweilig. Dafür sorgen die beseelten Soli des Ausnahme-Saxophonisten, orchestrale Arrangements, erhebende Chöre, dann wieder intime Soul-Momente und vom Ausnahmebassisten Stephen Bruner aka „Thundercat“ getragene Groove-Läufe. Und trotz aller Stilvielfalt wirkt das Ganze wie aus einem Guss, was daran liegen mag, dass alle Aufnahmen im Zuge einer einzigen Session eingespielt wurden. Das Umfeld des in L.A. stationierten Labels „Brainfeeder“ entwickelt sich immer mehr zum Garanten für die spannendsten Grenzerkundungen zwischen Jazz, Hip Hop und Klangforschung im Zeichen angewandten Wahnsinns.
Auf der Welttournee, die Washington kürzlich auch nach Europa führte, wurde Österreich leider ausgelassen. Wenn wir alle diese Platte kaufen, ist das beim nächsten Mal vielleicht anders. Schon allein deshalb sollte das Box-Set von „Epic“ unter keinem Baum fehlen.
Lisa Bassenge: Canyon Songs
Musik Produktion Schwarzwald New (Edel)
Ob es der Jazz-Funk ihrer Stammband „Micatone“, der intimere Jazz-Pop ihres Trios oder der deutsche Chanson ihres Projekts „Nylon“ ist: Unter einem bestimmten, üblicherweise sehr hohen Niveau macht es Nina Bassenge einfach nicht. Rechtzeitig fürs Weihnachtsgeschäft hat sie nun im Zuge eines US-Aufenthalts ihre liebsten Cover-Versionen eingespielt. Aber mit denen ist das halt so eine Sache. Dem einen geht eine spezielle Bearbeitung zu weit, weil sie das geliebte Original zerstört, dem anderen ist sie zu fade, weil sie zu nah am Original klebt. Recht machen kann man es bei fremdem Liedgut kaum einem. Doch Bassenge ist eine Bank. Ihre „Canyon Songs“ beweisen nicht nur einmal mehr, dass sie eine der stilsichersten deutschen Sängerinnen ist, schon allein die Auswahl zeigt, welch außergewöhnlich guten Musikgeschmack sie auch hat: Tom Waits, Brian Wilson, Buffalo Springfield - sensible Lieder von sensiblen Meistern sind das allesamt, die sie so zurückhaltend wie meisterlich interpretiert. Unterstützt wird sie dabei u.a. von Trompeten-Star Till Brönner, der hier einmal den sonst üblichen Schmelz beiseite lässt und sich voll und ganz in den Dienst der Sache stellt.
Das Highlight aber ist ihre Version des Shuggier Otis-Klassikers „Ah Uh my hed“, den sie singt, als wäre er von ihr. Herzzerreißend. Eine Platte wie gemacht für den Lazy Sunday.
Joe Jackson: Fast Forward
Earmusic (Edel)
Dass Joe Jackson noch einmal zu alter Stärke zurückfindet, hielten selbst eingefleischte Fans nach seinem völlig verunglückten Duke Ellington-Tribute, das viel zu glatt und für Jackson überraschend oberflächlich geriet, kaum mehr für möglich.
Und dann das: Der mittlerweile in Berlin aufgeschlagene Weltenbummler beschenkt uns mit einem späten Meisterwerk. Eigentlich schwebten Jackson ja vier EPs vor. Doch dann entschied er sich für ein Opus Magnum. Die sechzehn Songs teilte er in vier Blöcke auf, denn sie wurden je zu einem Viertel in den Städten Amsterdam, Berlin, New Orleans und New York aufgenommen; allesamt Stätten, zu denen Joe Jackson im Laufe seines Lebens ganz persönliche und musikalische Beziehungen aufgebaut hat. Und vielleicht war das ja das Geheimrezept. Das Andocken an eine Stadt und ihre Kultur hat Jacksons Kunst immer beflügelt. Man denke nur „Night and Day“, seine Ode an New York, wo er Jazz, Pop und südamerikanische Rhythmik zu einer unwiderstehlichen Mischung vereinte. Und genau an dieses frühe Meisterwerk knüpft „Fast Forward“ nun nahtlos an, als lägen dazwischen nicht 33 Jahre, sondern nur ein paar Wochen. Da ist es wieder, dieses unglaubliche Gespür für Melodien, das den englischen Exzentriker immer ausgezeichnet hat. Und alles wirkt wie beiläufig aus dem Ärmel geschüttelt. Ohne Frage: Das Comeback des Jahres.
Joe Jackson Fast Forward Album
Algiers: Algiers
Matador/Beggars Group (Indigo)
Wenn es eine Band gibt, die 2015 etwas wirklich einzigartiges, so noch nie Dagewesenes, abgeliefert hat, dann ist das Algiers. Die Band rund um Sänger Franklin James Fischer spielt eine Art modernen Gospel, wobei Gospel, so wie ihn das Trio interpretiert, rein gar nichts mit dem beschaulichen Chorgesang, wie man ihn aus diversen Großstadtkirchen kennt, zu tun hat, sondern mit wütendem Protest gegen politisches Unrecht. Mal erinnert das, was Algiers machen, an den Prostest-Soul der 1960er Jahre, dann wieder ist es sägender Post-Punk.
Und schon nach wenigen Textzeilen fragt man sich, wann Black Music zum letzten Mal so politisch war. Dabei stört es noch nicht einmal, dass die meisten Nummern nach ein und demselben Rezept funktionieren. In einem langsamen Crescendo schraubt sich Fischers Stimme zu knöchernem Beat hoch, Text und Gesang werden immer wütender. Irgendwann setzen sägende Gitarren ein, und der Lärm fällt in sich zusammen wie ein Kartenhaus.
Am Ende aber staunt man sprachlos darüber, wie diese Musik, diese Urform, die als Vorläufer des Jazz und allem, was daraus hervorging, diente, immer noch funktioniert, wie es einem immer noch unter die Haut geht, wenn sich ein begnadeter Sänger Luft verschafft und die Wut Jahrhunderte langer Unterdrückung aus sich herausfaucht, schreit und spuckt. Eine Platte wie ein Schlag in die Magengrube. Gospel auf der Höhe der Zeit.
Ecm Records (Universal Music)
Über den armenischen Pianisten Tigran Hamasyan hat Herbie Hancock einmal gesagt, dass selbst er noch von ihm lernen könne. Wenn das keine Empfehlung ist. Aber Hamasyan ist nicht nur gut, er ist auch noch umtriebig wie kaum ein anderer. Neben dem formidablen Album „Mockroot“ hat er heuer noch eine zweite Veröffentlichung auf den Markt geworfen. Und die ist nicht nur sein Debut auf dem legendären ECM-Label, sie ist auf eine ganz besondere Art einzigartig. Denn es sind liturgische Lieder Armeniens, die der Ausnahme-Pianist für Klavier und Vokalensemble (Yerevan State Chamber Choir) arrangiert hat. Manche von ihnen stammen aus dem 5. Jahrhundert, andere sind zeitgenössisch. Als kleiner Junge hörte er diese Musik in der Kirche, sagt er. Als gefeierter Pianist kehrt er nun zu ihr zurück und bereichert sie mit seinen fast schüchtern wirkenden, dafür umso schöneren Improvisationen.
Heraus gekommen ist bei „Luys I Luso“, was so viel wie „Licht aus Licht“ heißt, eine außergewöhnliche Erkundung der sakralen Musik Armeniens, eine ergreifende Andachtsstunde.
Tigran Hamasyan & Yerevan State Chamber Choir Harutyun Topikyan: „Luys I Luso“