Das Theater in Salzburg setzt sich zurzeit mit einem brisanten und aktuellen Thema auseinander: Der Flüchtlingskrise. Die Geschichten von Flüchtenden und Fluchthelfern werden mit dokumentarischen Texten auf die Bühnen der Stadt geholt. Inspiration holte man sich persönlich am Salzburger Hauptbahnhof und in Flüchtlingslagern.
"Wer sind die Menschen, die davon träumen, hier zu leben? Wer sind sie, die wir mit Drohnen, Nachtsichtgeräten, Unterwasserkameras, Internierungslagern, Tränengas und Gummigeschossen davon abhalten wollen, die lebensgefährliche Reise zu uns anzutreten?" Das seien die Fragen, die heutiges Theater stellen kann und muss, ist Carl Philipp von Maldeghem, Intendant des Salzburger Landestheaters, überzeugt.
Die Antwort darauf liefern Texte, aus denen Theaterabende werden: Eine senegalesische Frau etwa wird von ihrer Familie nach Europa geschickt. Nach einer Odyssee über den afrikanischen Kontinent scheitert sie an einem Zaun. Sie bleibt im Stacheldraht hängen. Für den Text, der dieses Schicksal erzählt, wurde die Autorin Marie NDiaye mit dem Prix Goncourt, einem der wichtigsten Literaturpreise Frankreichs, ausgezeichnet.
Von Flüchtlingen und Fluchthelfern im Theater Salzburg
In einem zweiten Text schildert der Journalist Wolfgang Bauer seinen erfolglosen Versuch, mit syrischen Männern von Ägypten aus über das Meer nach Europa zu gelangen. Eindringlich beschreibt er die Flucht dieser Männer. Ihre Nöte, ihre Lebensangst. Letztlich, nach Überwindung lebensgefährlicher Widrigkeiten, schaffen sie es. Der Text, entstanden zu einer Zeit, als eine Balkanroute noch nicht absehbar war, sei aus seiner Sicht deshalb so wichtig, erzählt von Maldeghem, weil er eine Innensicht schildere.
"Heute wird ja nur noch über Zahlen geredet. Wie viele jetzt wieder da oder dort stehen. Dass hinter diesen Zahlen Menschen stehen, das führt dieser Text eindrucksvoll vor Augen." Seit uns politische Themen wieder so mitnehmen wie aktuell, finden auch wieder vermehrt dokumentarische Texte auf Salzburgs Bühnen. Die szenische Umsetzung, so von Maldeghem, sei leichter gewesen als erwartet. "Es war wie ein Sog, der uns alle mitriss."
Das Theater, sagt Robert Pienz, Intendant des Salzburger Schauspielhauses, befinde sich gerade in einer spannenden und brisanten Phase, "weil wir an der Schwelle zu großen Veränderungen stehen." Jahrzehntelang keine vernünftige Integrations- und Bildungspolitik - all diese Dinge fielen uns jetzt auf den Kopf. "Aber alles, was wir zu begreifen scheinen, ist, dass etwas zu rutschen beginnt. Wie ein großes Schneebrett."
3 Flüchtlingsproduktionen im Salzburger Theater
Funny Girl. Bild: Salzburger Landestheater
Die schüchterne Azime, 20, aus kurdischer Familie, wächst in London auf. Ost und West, Islam und Säkularismus, Burka und bauchfrei – in Azimes beiden Welten gibt es klare Regeln, wie sie zu sein hat und was sie darf. Zwischen den Welten knirscht es gewaltig. Ihre kurdische Schulfreundin verliebt sich und kommt auf mysteriöse Weise ums Leben. Azime beginnt nachzuforschen. Als jedoch kurz darauf Terroranschläge in der U-Bahn hunderte Opfer fordern, weiß sie, dass sie ihre Stimme erheben muss. Auf ihre Art. Heimlich besucht sie einen Comedy-Kurs, schlüpft in eine Burka und tritt auf: als weltweit erste muslimische Komikerin. Der Auftritt ist wie Sprengstoff. Ihre Familie verstößt sie, die englische Presse feiert sie als Sensation, im Internet hagelt es Morddrohungen. Es wird ernst. Und doch immer komischer. Und ganz anders, als man jetzt denkt.
Anthony McCarten hat seinen explosiven multikulturellen Gesellschaftsroman nun für eine Uraufführung am Salzburger Landestheater dramatisiert. Dabei entsteht eine intensive Zusammenarbeit mit dem neuseeländischen Autor, der für »The Theory of Everything« (»Die Entdeckung der Unendlichkeit«) als bester Drehbuchautor für den Oscar 2015 nominiert wurde. McCartens Plädoyer für eine Verständigung der Kulturen, für die Freiheit des Einzelnen und die Freiheit der Kunst stehen für das Spielzeitthema »Das helle Licht der Freiheit« und damit für alle aktuellen Bemühungen um ein faires Miteinander und Toleranz.
Dauer: Ca. 2h 30 min
www.salzburger-landestheater.at
Die geraubten Mädchen. Bild: Salzburger Landestheater, © Andy Spyra / laif /
picturedesk.comDie Islamisten von Boko Haram terrorisieren Nigeria mit brutalen Anschlägen, besonders auf Frauen und Mädchen. Einige von ihnen, die nach Monaten des Grauens ihrer Gefangenschaft entkommen konnten, erzählten ihre Geschichte dem Journalisten Wolfgang Bauer. Diese Protokolle wurden in der ZEIT veröffentlicht und erscheinen im Frühjahr 2016 als Buch. Der Raubzug von Boko Haram setzt sich indessen immer noch fort.
Während Bauers Reportage entstand, griffen Boko Haram-Kämpfer das Dorf Chakamari im Norden Kameruns an. Sie erbeuteten 135 Menschen – die meisten davon Frauen. Der ersten Zusammenarbeit mit Wolfgang Bauer im Frühjahr 2015 (Dramatisierung der Fluchtreportage »Über das Meer«) folgt nun im Kammerfoyer ein weiterer Abend von beklemmender Aktualität: Theresa Hübchen und Marcus Bluhm als Regieteam geben gemeinsam mit Sofie Gross als Darstellerin den geraubten Mädchen eine Stimme.
Dauer: Ca. 60 Minuten
www.salzburger-landestheater.at
Illegale Helfer. Bild: Schauspielhaus Salzburg
Anhand von Interviews mit „Illegalen Helfern“ hat Maxi Obexer ein Stück über die Einwanderung nach Europa geschrieben und uns die Sicht auf dieses Thema in den verschiedensten Facetten eröffnet. „Illegale Helfer“ ist Maxi Obexers neuestes Stück und wurde im Auftrag des WDR auch als Hörspiel produziert. In den vergangenen Jahren setzte sie sich immer wieder mit der europäischen Flüchtlingspolitik auseinander. Auch „Das Geisterschiff“, ihr meistgespieltes Stück, ist eine kritische Auseinandersetzung darüber, wie mit Flüchtlingskatastrophen umgegangen wird.
Dauer: Ca. 60 Minuten
www.schauspielhaus-salzburg.at
Aus dem Magazin "Zeitgenossen. Begegnungen in Stadt und Land Salzburg" und den Spielprogrammen der Theater.