Der Culinary Art Powerday stand unter dem Motto "Über Essen reden" (Foto Andreas Kolarik) Der Culinary Art Powerday stand unter dem Motto "Über Essen reden" (Foto Andreas Kolarik)
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Über Essen reden: Culinary Art 2018

Ein Blogbeitrag von Journalist und Kurator von Culinary Art, Christian Seiler: Über Essen reden: Braucht es dafür eine eigene Veranstaltung? Wird nicht eh viel zu viel über das Essen gesprochen?
Jeder, der sich für gutes Essen und Trinken interessiert, kennt das Phänomen, dass am Tisch, wo gerade Gang für Gang ein wunderbares Essen aufgetragen wird, über nichts anderes gesprochen wird als über anderes Essen:
Mahlzeiten, die man gerade erst hatte; solche, die man in Zukunft haben wird und Mahlzeiten, die man unbedingt miteinander in Angriff nehmen muss.
Journalist, Moderator und Kurator von Culinary Art Christian Seiler (Foto Andreas Kolarik) Journalist, Moderator und Kurator von Culinary Art Christian Seiler (Foto Andreas Kolarik)

Aber es kommt natürlich darauf an, WIE über Essen gesprochen wird.

Manchmal sehr schön. Wie in diesem Zitat des Schriftstellers Alfred Polgar mit dem Titel „Das gute Essen“.
„Im Wein liegt Wahrheit, im guten Essen Liebe. Der Betrunkene spricht, wie ihm ums Herz ist, der Begessene hat plötzlich ein Herz, das er früher nicht hatte. Nachsicht, Verstehensfreude, Lust zur Gerechtigkeit überkommen ihn. Brücken der Sympathie spannen sich ins Nahe und Weite, ein rosenroter Nebel verkürzt Entfernungen und verdeckt Abgründe und der Mensch ist gut.“

Wenn man so über Essen spricht, nennt man das Literatur.

Andere Formen, über Essen zu sprechen, haben ganz andere Effekte, wie es der wahrscheinlich berühmteste Restaurantkritiker Deutschlands, Wolfram Siebeck, definierte:
„Sie müssen sich diesen Beruf so vorstellen: Sie sitzen auf einer Bank im Park und vergiften, wie üblich, die Tauben, da setzt sich eine junge Frau mit ihrem Kind neben Sie. Und Sie sagen: Junge Frau, so ein extrem hässliches Kind wie Ihres habe ich noch nie gesehen! - Das ist die Tragik meines Berufes, sie müssen den Leuten die Wahrheit sagen. Das ist nicht immer leicht.“
Zwischen diesen Polen bewegte sich „Über Essen reden“, der Powerday des Altstadt Verbands. Sobald wir über Essen reden, befinden wir uns nämlich irgendwo zwischen Schönheit und Wahrheit. Die Nuancen füllten ein ganzes Tagesprogramm.
Knapp 100 Kulinarik-InteressentInnen nahmen bei Culinary Art teil (Foto Andreas Kolarik) Knapp 100 Kulinarik-InteressentInnen nahmen bei Culinary Art teil (Foto Andreas Kolarik)

Nuancen wie die Frage nach dem Wert der Wahrheit

Im Gespräch zwischen dem Sternekoch Konstantin Filippou und dem Restaurantkritiker Christian Grünwald (Alacarte, 50 Best) trat deutlich zutage, wie wichtig gute Kritiken für die Spitzengastronomie sind. Gute Bewertungen entscheiden zum Beispiel darüber, ob ein Gastronom die Mitarbeiter bekommt, die er braucht, um sein Niveau zu halten oder verbessern zu können.
Die Kritik befriedigt nicht nur die Eitelkeit des Gastronomen, sondern kann auch über sein ökonomisches Wohl entscheiden. Der anwesende „Koch des Jahrzehnts“, Jörg Wörther, bestätigte das und bekräftigte, dass gerade im Zeitalter von TripAdvisor und anderen Mitmachportalen für Jedermann eine fundierte, professionelle Gastrokritik das Maß aller Dinge ist. Grünwald bestätigte das – und stimmte zu, dass genau diese Kritiker eine große Verantwortung tragen.

Nuancen wie die Frage nach Originalität und Stimme, nach Sinn und Form kulinarischer Publizistik

Da erörterten der Verleger und TV-Dokument Lojze Wieser, der Efillee-Herausgeber Vijay Sapre und SN-Gastrokritiker Peter Gnaiger, was eine gelungene Geschichte sei. Fazit: Informationen müssen das Herz der Menschen erreichen. Nur dann wird Essen und Trinken der Stellenwert beigemessen, den die Disziplin verdient. Gute Kritiker müssen über historische, charakterliche und gestalterische Fähigkeiten verfügen, um ihren Beruf angemessen ausüben zu können.

Nuancen wie die technischen Plattformen, auf denen die Kritiken erscheinen

Der Foodkritiker der seriösen „Frankfurter Allgemeinen“, Jakob Strobel y Serra, lobte die traditionsreiche Zeitung und die gnadenlose Objektivität, die ihn beim Verfassen von Kritiken beseele. Der Kritiker und Blogger David Schnapp (dasfilet.ch und „Weltwoche“) strich hingegen die gestalterischen Möglichkeiten heraus, die das Internet bietet. So erlaubt ihm sein Blog uneingeschränkte Genauigkeit in der Beurteilung vielgängiger Menüs – samt detaillierter fotografischer Darstellung.

Nuancen wie die Spezialsprachen, wie sie zum Beispiel bei der Beschreibung von Wein zum Einsatz kommen

Darüber unterhielten sich angeregt der Winzer Roland Velich („Moric“) und der Weinkritiker Stephan Reinhardt („Wine Advocate“), wobei der eine die Kompetenz der Kritiker hinterfragte, Vordergründiges von Banalem zu unterscheiden. Während der andere aus dem Nähkästchen plauderte und erklärte, wie man bei 4000 Weinen, die er pro Jahr verkostet, den Überblick bewahrt.
Stephan Reinhardt und Roland Velich im Weinarchiv des arthotel Blaue Gans (Foto Andreas Kolarik) Stephan Reinhardt und Roland Velich im Weinarchiv des arthotel Blaue Gans (Foto Andreas Kolarik)
Fazit: Gerade beim Wein sind Bewertungen äußerst subjektiv. Der Konsument sollte auch von der Publizistik dazu ermuntert werden, seinen eigenen Geschmack auszuprägen und diesem zu folgen.

Nuancen wie gute Unterhaltung, die das Über Essen Reden mit sich bringt

Die brachten die Eröffnungsredner Thomas Maurer und Florian Scheuba mit in die Aula der Universitätsbibliothek. Und setzten sich auf satirische Weise mit Schönheit und Wahrheit auseinander.
Dabei traten sie den Beweis an, wie unterhaltsam es sein kann, die sinnlichen Freuden des Essens und Trinkens in Worte zu verwandeln. Langer Applaus.
Zu den Workshops im nächsten Blogeintrag.
 
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