Von Michael Kerbler
Ludwig Feuerbach, der Philosoph, war stets ein beredter Verteidiger des Genusses: "Essen und Trinken hält Ich und Du zusammen". Auch der Akt des Denkens sei – so Feuerbach - von der Nahrungsaufnahme bedingt. Seine Argumentation lautete: "Wo kein Fett, ist kein Fleisch, aber wo kein Fett, da ist auch kein Hirn, kein Geist" und er zog folgenden Schluss: "Das Sein ist eins mit dem Essen. Man ist, was man isst". Man übernimmt also die Eigenschaften des Verzehrten, ob Gemüse, Obst, Fleisch, Fisch oder Kuchen. Und dabei spielt es eine Rolle, ob zum Beispiel das Tier, das ich mir einverleibte, ein glückliches Leben hatte.
Der Künstler Daniel Spoerri, berühmt geworden durch seine Fallenbilder, einer der bedeutendsten Repräsentanten der Objektkunst, ist da anderer Meinung. Spoerri, der Erfinder der EAT ART, meint: „Man isst, was man ist.“ Man wählt und verzehrt Speisen, meint er, gesteuert vom Bedürfnis des eigenen Wesens, on demand also, das, wonach einem verlangt.
Überträgt man den Gedankenansatz Feuerbachs auf die „regionale Küche“ als die Kost, die in einem bestimmten, durch Topographie und Grenzziehung entstandenen Kulturraum dominiert, dann bedeutet dies, dass dem Essen und Trinken eine ganz wesentliche Rolle als Identitätsstifter zukommen.
Mehr noch. Für eine wachsende Gruppe von Menschen hat Ernährung, allen Massentrends wie „fast food“ und Fertigkost zum Trotz, sinnstiftende Bedeutung gewonnen. Es ist der Megatrend Gesundheit, der seit der Jahrtausendwende die Bedeutung regionaler Produkte auf Spitzenplätze der gesellschaftlichen Werteskala katapultiert hat. Gesundheit ist längst zur Metapher geworden. Zur Metapher für Lebensqualität, besser noch: zur Metapher für Hoffnung auf größere Lebensqualität.
Unbestritten ist, dass zwei weitere wesentliche Entscheidungskriterien für den regionalen Einkauf in der Rücksichtnahme auf das Klima und in ethisch begründeten Vorbehalten gegenüber der Massentierhaltung liegen.
Lebensmittelskandale einerseits, die Denaturierung von Lebensmitteln im industriellen Verarbeitungsprozess und das nicht mehr zu ignorierende Faktum, dass es in den kommenden Jahrzehnten nicht mehr Überangebote sein werden, die die Nahrungsmittelmärkte kennzeichnen, haben zu einer starken Fokussierung der Verbraucheraufmerksamkeit auf die regionalen Märkte geführt.
Das „Age of Less“ hat – gepaart mit der wachsenden Bedeutung der Bewahrung und Aufrechterhaltung der individuellen Gesundheit – den „Heimat“-Markt, die Produzenten vor der eigenen Haustür aufgewertet. Die neuen Knappheiten, das schwindende Vertrauen in die Produktqualität, aber auch die schrumpfenden Haushaltsbudgets tragen ein Übriges dazu bei, dass sich eine Haltung bemerkbar macht, die lange Zeit nur einer eng begrenzten Verbrauchergruppe zugeschrieben wurde: die „glückliche Bescheidenheit“, wie die Konsumpsychologin Uni. Prof. Simonette Carbonaro diese Haltung bezeichnet.
Kein Wunder also, wenn sich der Wunsch nach Regionalität in den zurückliegenden fünf Jahren auch in Österreich - und damit das Interesse an der Landwirtschaft und deren Produkten – verstärkt hat.
Es sind aber nicht nur die Verbraucher, sondern auch Gastronomie und Hotellerie, die auf „local food“ setzen und deshalb forcieren. Die regionaltypische Küche wird nicht nur als sinnliches Erlebnis, sondern als sinn-volles Angebot präsentiert: Produktion, Verarbeitung und Lieferung, die in einem engen Radius um den Ort des Konsums und im Einklang mit der Natur erfolgen, sind nicht nur ökonomisch, sondern auch ökologisch vernünftig und stärken außerdem die Arbeitsplätze in der Region.
Das Bewusstsein für die regionale Küche zu stärken, ob nun in den eigenen vier Wänden wieder öfter selbst gekocht wird, ob das Wirtshaus nebenan einen stärkeren Akzent auf lokale Kost legt oder das Restaurant eine moderne Interpretation einer regionalen Spezialität anbietet: letztlich tragen viele solche Veränderungen dazu bei, die Regionen resilient, also widerstandsfähiger und zugleich wettbewerbsfähiger zu machen.
Wobei die Wirkung der emotionalen Botschaft, die im regionalen Angebot mitverpackt ist, nämlich im Zeitalter der Globalisierung „etwas für die Heimat zu tun“, die Kaufentscheidung immer stärker beeinflusst. Der Verbraucher, die Verbraucherin greift zu Produkten mit Herkunft, weil sie (vermeintlich) sicher und die Kaufentscheidung obendrein ethisch korrekt ist.
Dass sich hierzulande immer öfter bei Kaufentscheidungen Konkurrenzsituationen auftun zwischen Bioprodukten und Produkten aus regionaler Erzeugung, ist evident. Dass viele dieser Entscheidungen zwischen biologisch produzierten Lebensmitteln und regionalen Lebensmitteln zugunsten Letzterer ausfallen, mutet jedenfalls wie die Befolgung des TIME MAGAZIN- Aufmachers vom März 2007 an: „Forget organic. Eat local“.
Die Frage bleibt, wie die Qualität der Information für den Konsumenten zum Thema „local food“ verbessert und damit eine Haltungsänderung bewirkt werden kann, die von Dauer ist. Welche Vorbildfunktion bekannte Köchinnen und Köche, aber auch Gastronomie und Hotellerie insgesamt zur Bewusstseinsbildung puncto „Ernährung – Genuss – Gesundheit“ leisten können und wollen. Und wie die Wahrnehmung regionaler Küche wirksam als unverwechselbares Spezifikum einer Tourismusdestination gestärkt werden kann. Die Frage bleibt auch, ob die Gratwanderung zwischen legitimer Stärkung qualitativ hochwertiger lokaler Produktion und einem Abrutschen in Chauvinismen vermieden werden kann. Und wie letztlich die wichtigsten Kriterien eines Lebensmittels – ob Gemüse, Fleisch oder Fisch – bewahrt werden können: die natürliche Qualität, ethische Produktion und guter Geschmack.