Journalist Michael Kerbler im Interview mit der gebürtigen Salzburgerin Doraja Eberle, einer ehemaligen österreichischen Politikerin (ÖVP) und Gründerin der humanitären Hilfsorganisation Bauern helfen Bauern über Migration, Flucht und menschliche Würde.
Michael Kerbler: Frau Eberle, Sie haben 1992 gemeinsam mit Ihrem Mann „Bauern helfen Bauern“ gegründet. Jugoslawien begann auseinanderzubrechen, der Kroatienkrieg war in vollem Gang. Und eines Abends haben Sie in der ZiB einen Lagebericht aus dem belagerten Sarajewo gesehen.
Und Sie haben beschlossen ins Kriegsgebiet zu fahren, um den Menschen zu helfen. Warum eigentlich? Um den Betroffenen ein Flüchtlingsdasein zu ersparen? Um ihnen ein Dach über dem Kopf zu geben?
(c) Bauern helfen Bauern
Doraja Eberle: Ja! Aus heutiger Sicht wollte ich einfach etwas zum Krisenmanagement beitragen. Runterfahren, sehen, was die Menschen brauchen, die mir da alle entgegengekommen sind. Also bin ich davon ausgegangen, dass sie flüchten müssen und habe auch oft den Satz auf Deutsch aufgeschnappt: „Wir möchten nicht weg, wir wollen ein Dach über dem Kopf.“
Dieser Satz, dieser Wunsch nach dem Dach über dem Kopf war dann eigentlich der Auslöser dafür Häuser - einfache Häuser - für diese Menschen zu bauen. Es gab damals zwar ein Dach über dem Kopf als die Flüchtlinge zurück sind.
Aber das waren Zeltdächer oder Containerdächer. Etwas anderes gab es nicht. Oder die Ruine des eigenen Hauses. Wir haben diese Häuser „Kabrio“ damals genannt, weil es kein Dach gegeben hat. Aber das war der Auslöser.
MK: Aber Frau Eberle, nicht jeder, der einen Bericht über den Jugoslawienkrieg gesehen hat, ist aufgestanden, hat eine Tasche gepackt, das Auto vollgetankt und ist in das Kriegsgebiet gefahren. Was hat Sie so berührt, dass Sie nach Kroatien fahren mussten?
DE: Das weiß ich noch: das auslösende Bild war ein Angriff auf ein Krankenhaus, das mit Granaten beschossen wurde. Und da war ein Kreuz auf dem Krankenhaus. Ich weiß, was alles im Krieg geschehen kann, aber man darf keine Krankenhäuser bombardieren!
Und das ist mir so aufgestoßen, dass ich gedacht habe: das geht mir zu weit und so weit ist diese Front nicht entfernt. Manche nennen das innerer Antrieb, ich nenne es
„God is calling“. Also bin ich einfach aufgestanden und habe meinem Mann gesagt, ich fahre jetzt. Und habe mich in meinen braunen Subaru gesetzt und bin gefahren.
MK: Und Ihr Mann ist mitgefahren?
DE: Nein, ich war alleine, ganz alleine. Die Kinder waren klein und mein Mann blieb bei den Kindern. Was mich im Nachhinein am meisten beeindruckt, ist, damals gab es kein Handy, kein Navigationsgerät. Ich bin einfach gefahren. Heute würde ich das nicht mehr machen.
MK: Warum würden Sie das heute nicht mehr machen?
DE: Ich würde es nicht mehr machen, weil ich jetzt weiß, dass so eine Entscheidung 26 Jahre lang Konsequenzen hat und diese Zeit habe ich nicht mehr. Das ist der Grund, warum ich sage, ich würde es heute nicht mehr machen.
MK: Die Menschen sind Ihnen damals entgegengekommen. Unmittelbar bei Sisak, der Ort liegt südöstlich von Zagreb, 60 Kilometer Richtung Rijeka ist der Frontverlauf gewesen. Dort haben Sie auch die ersten Häuser bauen lassen …
DE: … selber gebaut. Die ersten Häuser haben wir selber gebaut. Heute lassen wir sie bauen.
MK: Der Wunsch, diesen Menschen ein Dach über dem Kopf zu geben, den kann ich gut nachvollziehen. Aber haben Sie nie befürchtet, die Front könnte sich wieder verschieben und dann würden die Häuser im Kriegsgebiet liegen?
DE: Ja, natürlich war das eine Befürchtung. Das ist eines der vielen, vielen, vielen Wunder von „Bauern helfen Bauern“, dass von den 1.262 Häusern – das 1.262ste wurde jüngst übergeben – nur ein einziges zerstört wurde. (Das 1.262ste Haus hat die Kleßheimer Landwirtschaftsschule gebaut.)
Nur ein einziges Haus, das geschah letztes Jahr, ist abgebrannt, weil jemand mit der Zigarette eingeschlafen ist. Keines unserer Häuser ist je durch Kriegshandlungen beschädigt worden. Und die Front ist immer wieder über unsere Häuser gegangen. 1992, 1993, 1994, hin und her – nicht ein einziges unserer Häuser wurde weggenommen oder beschädigt.
MK: Die Stärke von „Bauern helfen Bauern“ war, dass Sie sich auf jene Nischen konzentriert haben, die die großen NGOs verwaltungstechnisch nicht bedienen konnten. Wo genau setzten Sie mit der Hilfeleistung an?
DE: Es ging vor allem um die
schnelle Hilfe. Während die anderen ihre Task-Force-Meetings gemacht haben, sind Menschen verhungert! Ich muss das einfach einmal genau so sagen. Das heißt, wir brauchten keine Sitzungen, um Entscheidungen zu treffen, sondern wir waren ein kleines Team, das eng zusammengearbeitet hat.
Wir hatten ein Telefon und ein Rundruf hat gereicht, um zu entscheiden: Ja oder Nein. Diese Einstellung haben wir uns bis heute erhalten. Ganz schnell und flexibel zu sein. Und wenn es darum ging zu entscheiden: Übernehmt ihr die ganze Verpflegung? Dann haben wir das gemacht. Die anderen hätten drei Wochen dafür gebraucht.
Wenn jemand gesagt hat, könnt ihr bitte alle Klos putzen im Krankenhaus, weil sie verstopft sind, dann haben wir das gemacht. Überall dort, wo wir von Nöten waren, damit das Rad läuft – darum ging es –, haben wir geholfen. Damit kein Stillstand passiert. Weil dann wäre es, zusätzlich zu den Katastrophen, die ohnedies schon da waren, zu weiteren Katastrophen gekommen.
MK: Wenn man einmal so direkt ins Kriegsgeschehen verwickelt war, Krieg miterlebt hat und sieht, was Krieg anrichtet: verstehen Sie die Menschen, die weggehen, weil sie keine Chance sehen, wenn ihnen keiner hilft. Wenn auch keine Hoffnung mehr geblieben ist, dass die Bombardierungen aufhören?
DE: Ich verstehe das unbeschreiblich gut, wegen meiner Erfahrungen in Bosnien, was ich in Bosnien erlebt habe. Und jetzt erlebe ich ja auch die, die wieder zurückgekommen sind.
Heimat und dieses nach Hause kommen, dorthin, wo man die Wurzeln hat, wo man einen Namen hat, wo man Identität hat, ist immer stärker, als das Weggehen. Jeder hatte Heimweh.
Wir treffen so viele Menschen, die lange in Schweden waren, in Australien, in Amerika, die jetzt nach Hause kommen und die sagen: Das Heimweh hat uns umgebracht. Ich verstehe, wenn es gar nicht mehr geht – aus welchen Gründen auch immer – dass man geht.
Ich würde nicht mehr urteilen und sagen die sollen gefälligst zuhause blieben, auch wenn ihnen die Bomben um die Ohren fliegen oder das Land vermint ist. So kann ich das nicht mehr beurteilen. Ich habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass nicht einer zurückgekommen ist, der nicht gesagt hat, ich bin vergangen vor Heimweh.
MK: Sie haben einmal in einem Interview im Jahr 2009 einer Journalistin auf die Frage: Ist das Boot voll? - gemeint war die Flüchtlingssituation damals 2009 in Österreich -, gesagt, ich zitiere: „Ich glaube nicht, dass es voll ist, aber es hat eine Schieflage und diese Schieflage müssen wir beseitigen, damit wir das Miteinander und den sozialen Frieden nicht gefährden“. Befinden wir uns heute in Österreich in einer Schieflage?
DE: Ja. Ich würde das heute genauso beantworten. Damals wussten wir noch nicht, was auf uns zukommt 2015, 2016 und 2017. Ich würde das wieder genauso beantworten. Ja, wir befinden uns in einer Schieflage und ich glaube aus vielen Gründen, dass das Boot zugleich voll ist und nicht voll ist. Was meine ich damit? Voll ist es nie, wenn ich mich umschaue. Ich wohne in einem Haus, wir wohnen zu dritt hier, da kann man immer sagen, da haben noch 50 Menschen Platz.
Wenn sie am Boden liegen, ja natürlich. Über die Konsequenzen brauchen wir nicht reden. Wenn ich auf der anderen Seite sage, das Boot ist voll, dann meine ich, dass wir nicht gut in Integration sind. Wir können es noch nicht. Ehrenamtlich Tätige können es, aber der Staat kann es noch nicht und die Politik kann es noch nicht.
Und ich würde auch niemanden in unser Land holen wollen – aus welchen Gründen auch immer -, wenn wir nicht so mit ihnen umgehen, dass sie auf Augenhöhe sind. Dass sie eines Tages ihren Lebensunterhalt selber bestreiten können, dass sie dieselben Rechte, Pflichten und Würde haben wie wir.
So weit sind wir noch nicht und deshalb sage ich, diesbezüglich ist das Boot voll. Was aber den Platz und das Teilen betrifft sind wir noch lange nicht voll.
MK: Ich habe mir folgende Daten ausgehoben: Im Jahr 2009 gab es im ersten Trimester 5.173 Asylanträge und im ersten Trimester dieses Jahres 5.011. Am Höhepunkt im Jahr 2015, weil Sie das angesprochen haben, waren es 42.483 Asylanträge, die gestellt wurden.
Können Sie mir erklären, auch weil Sie ja die andere Seite, nämlich Regierungsverantwortung im Land Salzburg kennen, warum Regierende auf Landesebene, auf Bundesebene, in Ungarn, in Polen, auch bei uns in Österreich, auch in Bayern und anderswo so tun, als würden wir noch immer 2015 schreiben?
DE: Um den Wähler zu befriedigen. Es klingt jetzt ganz komisch, aber die Politik glaubt im Moment, da braucht man nur nach Deutschland schauen, solange man die subtile Angst aufrecht hält, dann bekommt man die Wählerstimme. Sonst bekomme ich sie nicht.
Und das ist fatal, was da passiert. Wir leben in Österreich und ich sage das auch immer in meinen Vorträgen oder ich frage Menschen bei den Vorträgen und da kommt genau das, was Sie jetzt gesagt haben. 350.000 Menschen sind durch Salzburg gegangen von Anfang September bis Anfang März. Das sind unbeschreiblich viele Leute, 350.000! Ein Teil ist geblieben.
Und wenn ich dann die Menschen bitte ihre Hand zu heben und meine erste Frage dazu lautet: wie viele Flüchtlinge habt ihr gesehen? Dann werden ganz wenige Hände gehoben. Vielleicht, wenn jemand ein Pendler ist, dann hat er sie am Salzburger Bahnhof gesehen. Sonst haben wir es geschafft sie wunderbar abzuschirmen.
Meine zweite Frage lautet: wer von diesen 350.000 und denen, die im Land geblieben sind, hat euch einen Arbeitsplatz weggenommen? Hat euch keinen Kindergartenplatz ermöglicht? Hat eine Operation, die ihr so dringend braucht, nicht möglich gemacht? Wer hat euch persönlich bedroht? Und es hat niemand aufgezeigt.
Und an dem sehe ich, dass da eine Angst ist, die geschürt wird, aber die wir nicht haben müssen.
MK: Frau Eberle, Sie sind in die Politik gegangen. Haben Verantwortung in der Salzburger Landesregierung übernommen. Was hat Sie tatsächlich veranlasst damals, 2004, in die Politik zu gehen?
DE: Ein Anruf von Wilfried Haslauer. Ich hätte nie darüber nachgedacht in die Politik zu gehen, weil das, was ich getan habe und tue, ist ohnehin politisch oder hochpolitisch. Ich habe Menschen nach Bosnien zurückgebracht, das ethnisch „gesäubert“ worden ist. Politischer geht es gar nicht mehr. Ich habe nie darüber nachgedacht. Sehr einfach.
Wilfried Haslauer hat mich am richtigen Fuß erwischt, indem er gesagt hat, gehen Sie mit mir in die Regierung. Ich möchte, dass Sie mir die Politik weiblicher, menschlicher und fröhlicher machen. Punkt. Das hat mich irgendwie gereizt, wenn es nur das ist, was ich da drinnen erfüllen soll…. Aber diese drei Wünsche von ihm haben mich sieben Jahre schwer beschäftigt.
MK: Haben Sie in diesen sieben Jahren die Erfahrung gemacht, dass sich Frauen „schlecht verkaufen“ - unter Anführungszeichen -, ob das jetzt in der Politik, in der Firma, im eigenen Betrieb, am Bauernhof, wo auch immer, ist?
DE: Ja, sehr. Ich war unter anderem Vorsitzende der ÖVP-Frauenbewegung. Da waren elftausend Frauen dabei. Das hat mir Spaß gemacht, weil ich ja auch nicht so viele Frauen im Land gekannt habe. Ich bin ganz schnell erschrocken, wenn ich irgendjemanden gebeten hab, Du, kannst Du mich heute vertreten, denn ich kann nicht oder komme erst eine Stunde später, kannst Du die Einführung machen oder kannst Du ….
Und ein Großteil der Frauen hat gesagt, nein, nein, das kann ich nicht, da traue ich mich nicht. Ich habe mir gedacht, mein Gott, wir sind doch unter uns, wenn sie sich schon unter uns nicht trauen, wie erst dann nach draußen.
Und in der Politik habe ich dann schlechte Erfahrungen gemacht, dass Frauen sich etwas trauen, aber im Ehrenamt und in der Zivilgesellschaft ganz allgemein habe ich fantastische Erfahrungen mit Frauen gemacht. Das sind die, die das tragen und das sind die, die in der ersten Reihe stehen, die dann an der Front stehen. Da funktioniert das gut.
MK: Wenn ich Ihnen so zuhöre, bleibt offenbar kein anderer Weg als jener, den die Oberbank jetzt einschlägt: eine Quotenregelung. 40 Prozent für Frauen in Führungspositionen. Wenn Frauen seitlich ausweichen, weil sie es sich – aus welchen Gründen auch immer – nicht zutrauen oder nicht wollen. Ist die Quote ein Weg, um langfristig mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen?
DE: Ich war immer und bin nach wie vor gegen die Quoten, weil ich finde entweder sind Frauen gut, dann sind wir gut, aber wir brauchen in dem Sinn keine Quoten oder ein Reißverschlusssystem. Wir sollten eher Frauen die Möglichkeit geben, dass sie diese Verantwortung in Führungspositionen übernehmen können. Und das ist noch nicht gegeben.
Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich glaube, ich war die privilegierteste Frau im ganzen Land Salzburg. Von meiner Familie her, von meinen finanziellen Möglichkeiten her, von meinem Umfeld her, von meinen Hilfen im Haushalt und überall mit einer prachtvollen Familie und Mann und Kindern. Aber glauben Sie ja nicht, dass ich eine Minute Familie und Beruf vereinbaren konnte!
Ich konnte es nicht, trotz aller Hilfestellung. Und dann habe ich mir oft gedacht, wie geht es erst jemandem, der diese Möglichkeiten nicht hat, weil es eben Dinge gibt, die zu einer bestimmten Zeit nur von mir als Mutter erfüllt werden können. Daran hapert es!
Das ist nicht nur die Kinderbetreuung, weil dafür kriege ich ja keine Kinder, dass ich sie 12 Stunden irgendwo hineinstecke. Sondern familienfreundliche Betriebe oder Berufe, wo ich auch stundenweise zuhause arbeiten kann und, und, und… Stichwort Flexibilität! Da sind wir weit davon entfernt.
Das würde ich mir wünschen, dass wir die Dinge so gut vereinbaren – Kinderbetreuung ist ein kleines Rädchen. Leistbares Wohnen, diese ganzen Sachen, dass ich den Druck nicht habe. Dann könnte ich mir das gut vorstellen.
Und ich bin auch nicht so eine Emanze. Ich bin sehr emanzipiert, aber keine Emanze in dem Sinn, Frauen müssen nur oben sein. Nein, im Team mit Männern oder Männer mit uns, da sind wir fantastisch. Und das muss es sein. Da müssen wir wieder hin.
MK: Hat es viel Mut gebraucht, nach 2.386 Tagen zu sagen, lieber Wilfried Haslauer ich höre jetzt auf?
DE: Es hat viel Mut gebraucht, aber nur deshalb…. Ich muss zwei Sachen sagen: Die sieben Jahre in der Politik waren eine meiner schönsten Jahre. Auch in meiner Ehe. Ich habe einen fantastischen Mann, der … Es ist nicht leicht in zweiter Reihe zu sein, wenn eine Frau in einer Führungsposition ist. Das sogenannte Prinz-Claus-Syndrom. Das muss man mal lernen. Mein Mann war mein bester Kritiker.
In sieben Jahren hat er nicht ein einziges Mal geschlafen, wenn ich nach Hause gekommen bin und manchmal war es ein, zwei Uhr früh. Es gab immer ein Feedback. Er war immer jemand, der mir die Flügel gestutzt oder mich auch getragen hat. Insofern kann ich sagen, war es eine ganz tolle Zeit für mich.
Und es hat deshalb nicht Mut gekostet, aber ich wusste Wilfried Haslauer und ich waren ein unglaublich gutes Team und wenn einer wegbricht, ein Puzzlestein fehlt, dann ist das schwer für den einen und den anderen. Für mich genauso wie für ihn. Und das hat uns beiden auch sehr viel Emotion gekostet, dieser Moment, zu sagen, ich gehe und irgendwo lasse ich dich alleine. Aber alles im Leben hat seine Zeit und es war richtig und gut so.
MK: Ich höre da heraus, es hat seit 2010, ich glaube es war im Oktober, als Sie zurückgetreten sind, keine Situation gegeben, wo Sie gedacht haben, ich muss wieder politisch aktiv werden?
DE: Nein. Es gibt ganz viele Felder, wo ich säen und auch wieder ernten darf, zum Beispiel bei „Menschenwürde Österreich. Christian Konrad“ was mir großen Spaß macht, weil das Leute sind, die etwas bewegen und umsetzen können.
Da bin ich gerne ein Teil davon. Ich bin in der politischen Akademie (der ÖVP) neu im Vorstand, was mir viel Bauchweh gekostet hat, mich im Moment für die ÖVP zu engagieren.
Das kann ich hier auch ganz laut sagen. Das war eine Bitte und ein Wunsch von Sebastian Kurz. Und ich habe für mich abgewogen. Will er das, weil er den Feind an seiner Seite haben möchte - sage ich jetzt sehr überspitzt - und damit ich ein bisschen ruhig bin.
Oder will er das, weil er mir soziale Kompetenz zutraut und versucht es in eine richtige Richtung zu bringen. Richtig im Sinne auch von christlich und voll Würde. Ich gehe davon aus, dass er das wollte und deshalb habe ich ja gesagt.
Ich bin in einer Gruppe, die heißt
„politisch neu denken“ mit jungen Politikern, um die ein bisschen zu führen und zu begleiten in einem neuen politischen Stil über alle Parteien hinweg. Also bestelle ich ohnedies das Feld noch ein bisschen mit.
Aber in die hohe Politik zurück, nein, weil ich es körperlich nicht länger ausgehalten habe. Es vergiftet schon sehr und es strengt enorm an. Ich bewundere jeden, der das länger aushält als ein paar Jahre vom Körperlichen her. Aber ein politischer Mensch werde ich immer bleiben.
MK: Der Historiker Philipp Blom hat bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele in diesem Jahr einen wichtigen Gedanken formuliert: „Demokratie kann die Voraussetzungen, die sie braucht, um zu bestehen, nicht selbst schaffen.“ Sie braucht sozusagen die Menschen, die sie leben und die sie mittragen.
Wie, Frau Eberle, kriegen wir die Menschen von den Rängen der Zuschauerdemokratie in die Arena? Wie ist es zu schaffen, dass sie sich wieder in die eigenen Angelegenheiten einmischen? Kann es damit beginnen, dass wir uns gemeinsam diesen Film ansehen und wir dann darüber debattieren?
DE: Es geht nur um ganz kleine Schritte und es geht um das Tun. Der Film heißt nicht umsonst
„Ein Mann seines Wortes“. Das heißt, er sagt etwas und dann tut er es. Dasselbe gilt für „Bauern helfen Bauern“. Wilfried Haslauer wollte von mir wissen: „Wie hat „Bauern helfen Bauern“ angefangen, Doraja?“ Und ich habe geantwortet, warum fragst Du mich das? Und er hat gesagt, weil ich an diesen Marshall-Plan für Afrika denke. Es muss immer im Kleinen anfangen.
Mutter Theresa hat gesagt, Krieg und Frieden fängt zuhause an, nicht in der Politik oder irgendwo. Und warum wir so viele emphatische Leute im Team haben bei „Bauern helfen Bauern“ ist, weil wir sie mitgenommen haben. Mir hat ein 16-jähriges Mädchen vor zwei Jahren geschrieben. Danke, dass du mich mitgenommen hast.
Es ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich das Gefühl hatte gebraucht zu werden. Und dieser Satz hängt mir so nach, weil ich mir denke, das ist meine Aufgabe in meinem winzig kleinen Bereich Menschen hinzuführen und zu sagen, schau einmal, was hier passiert ist. Und was können wir tun, damit so etwas mitten in Europa nie wieder passiert?
MK: Frau Eberle, was motiviert Sie? Woher nehmen Sie die Kraft?
DE: Bosnien zum Beispiel. Das war körperlich so anstrengend, dass ich gestern Abend fast nicht mehr stehen konnte. Ich bin einfach schon in einem Alter, wo das nicht mehr funktioniert, dass man 15 Stunden am Tag bei einer Hitze von 40 Grad herumwerkt.
Aber wenn man dann sieht, dass eine Saat aufgeht, die wir ja bewusst gesät haben, nämlich das über alle ethnischen Grenzen die Kinder wieder zusammenkommen, Kinder von Eltern, die sich gegenseitig die Kinder umgebracht haben. Wenn das dann funktioniert, wenn es dann Abschiedsszenen gibt, wo du sagst, wir wissen gar nicht mehr, kommt der aus Bosnien, kommt der aus Serbien, woher auch immer, dann geht die Saat auf.
Und wenn dann auch noch ein Gerald Wirth (künstlerischer Leiter der Wiener Sängerknaben) sagt, ja da komme ich hin, weil das seid ihr mir wert! Das ist doch wunderbar. (Anm.: Doraja Eberle lächelt dabei über das ganze Gesicht und hat die Arme ausgebreitet. Dann wird sie ernst.)
In der aktuellen großpolitischen Lage, von Trump angefangen bis Orban und noch weiter darüber hinaus, habe ich das erste Mal in meinen 64 Jahren - und davon bin ich, sagen wir, 40 Jahre aktiv -, habe ich das erste Mal in meinem Leben das Gefühl, dass ich durch mein Zutun in meinem winzig kleinen Bereich etwas nicht mehr zum Positiven verändern kann. Das erschreckt mich wahnsinnig.
Und da merke ich, dass das eine Müdigkeitserscheinung ist, wo ich neigen würde dazu zu sagen, dann mache ich es gar nicht mehr. Dann melde ich mich jetzt nicht mehr zu Wort, dann schluck ich es runter. Und das ist der Augenblick, der mich motiviert zu sagen: NEIN Doraja, dorthin will ich nicht kommen.
Ich möchte betroffen, wütend, traurig bleiben und ich möchte weiter die Saatkörner, und wenn es nur wenige sind, säen. Wenn sie nicht aufgehen, haben wir sie vielleicht in den falschen Boden hineingelegt.
Manchmal weiß ich nicht, ob ich da noch mitkomme. Dann fahre ich nach Bosnien und ich sehe die kleine Gruppe dort und dann denke ich mir, nein, es ist es wert. Und wenn dann ein hoher Repräsentant sagt, Doraja, ihr habt den Ton in Srebrenica verändert, dann denke ich mir eine Pipi-Gruppe aus Grödig kann einen Platz, an dem ein Genozid verübt wurde, verändern.
Wenn ein paar Kinder musizieren und wir es schaffen, dass die Kinder, ohne auf ihre Herkunft zu achten, eine Gruppe werden, dann ist es das alles wert gewesen. Und dass es weiter geht. Das haben auch alle beim Interview gefragt: was ist das nächste Projekt? Ich weiß es nicht, ich weiß nicht, was das nächste Projekt ist.
MK: Frau Eberle, vielen Dank für das Gespräch.
DE: Auch ich danke Ihnen!
Eine Weiterführung des Interviews finden Sie hier.