Nicht weit vom sogenannten „Henkerhäuschen“ im Salzburger Nonntal, in der Brunnhausgasse, befindet sich der Einstieg in den so genannten Stiftsarmstollen des Almkanals. Wasserdichtes Gewand, Gummistiefel und eine warme Jacke, egal wie heiß der Sommer draußen ist, sind die passende Ausrüstung für die Begehung des Stollens.
Und eine leistungsfähige Taschenlampe sollte man mit dabeihaben, denn es gibt nicht nur viel Interessantes zu sehen in diesem unterirdischen Gang, sondern es gilt auch auf den eigenen Kopf zu achten. Manchmal verringert sich die Höhe des Stollens plötzlich auf eineinhalb Meter.
Der Stiftsarmstollen ist wohl der älteste Wasserleitungsstollen in Mitteleuropa. Wohlgemerkt: ist. Denn der Stiftsarmstollen ist kein Museum, sondern Teil eines ausgeklügelten Versorgungsnetzes, das auch heute noch die Stadt Salzburg zuverlässig mit Wasser versorgt.
Mit Wasser, das bei der Wehranlage in Hangendenstein nahe der deutsch-österreichischen Grenze aus der Königsseeache in den Almkanal abgeleitet wird: nicht weniger als 5.500 Liter Wasser pro Sekunde werden dort in Richtung Landeshauptstadt eingespeist.
(c) Salzburg Museum
Die unterirdisch geführten Abschnitte des Wassernetzes zählen zu den verborgenen Kulturgütern der Festspielstadt. Erkennen kann man die Verzweigungen des Almkanals übrigens an ihren Kanaldeckeln. Runde Gussmetallplatten, deren Mittelstück von einer großen Zahl schachbrettartiger, erhabener Quadrate gebildet werden.
Im Nonntal, also jenem Stadtteil, der vom Residenzplatz aus gesehen hinter dem Mönchsberg liegt, befindet sich das zuvor erwähnte Brunnhaus, wo DI Wolfgang Peter, amtierender Almmeister, sprich Verantwortlicher für den Almkanal, die geschichtliche und technische Dimension des Bauwerkes beschreibt. „Die ersten Abschnitte des Almkanals sind wahrscheinlich schon im neunten Jahrhundert angelegt worden.
Man kann zwar noch nicht vom Almkanal in diesem Sinne sprechen, weil der Durchstich zur Königsseeache, die auch Almfluss genannt wird, erst im Jahr 1286 erfolgte. Aber bereits im neunten Jahrhundert wurden erste Anstrengungen unternommen ein Wasserangebot möglichst nahe an die Stadt heranzubringen, also Mühlen zu betreiben, die in der Stadtnähe gesichert aufgestellt werden konnten“, berichtet der Almmeister.
Als zweiter großer Schritt gilt der im Jahr 1136 begonnene Stollenbau, wo das Domkapitel und St. Peter, die beiden Großgrundbesitzer im sogenannten Innenstadtbereich Salzburgs, den Beschluss gefasst hatten einen Stollen durch den Mönchsberg in diesen durch die Stadtberge sehr gesicherten Bereich an der Salzach vorzutreiben.
Der Zweck war auch im geschützten Stadtbereich Mühlen zu bauen und außerdem die landwirtschaftlichen Flächen in diesem Bereich zu bewässern.
DI Wolfgang Peter ergänzt ein wichtiges Faktum: „Und letztlich war wahrscheinlich auch der Stadtbrand im Jahr 1127 ausschlaggebend dafür, dass man ein für diese Zeit noch nie dagewesenes Projekt verwirklichen wollte.“
Wolfgang Peter: „Nein, es war Salzburg ja schon zur Römerzeit besiedelt und auch in dieser Zeit gab es eigentlich nur Ziehbrunnen und Grundwasserbrunnen und nur ganz spärliche Quellen aus dem Mönchsberg.“
WP: „Sie haben sich eine geologische Besonderheit zunutze machen können. Es ist so, dass der Festungsberg, auf dem die Festung steht, ein Dolomitstock ist. Im Zuge der Eiszeit hat sich hinter diesem Dolomitstock ein Konglomerat abgelagert, das von den Gletschern praktisch im Windschatten liegengelassen wurde.
Genau an der Grenzfläche zwischen diesem Konglomerat und dem Dolomit ist noch dazu eine wasserstauende Gosau-Sandsteinschicht abgelagert, die zu einer Entfestigung des Materials führte. Wenn man heute durch den Stollen geht - es gibt auch unverkleidete Bereiche, wo keine Steingewölbe eingebaut wurden - da kann man mit den Fingern, mit der bloßen Hand das Material herunterkratzen. Das hat man sich in der damaligen Zeit für den händischen Vortrieb zunutze machen können.“
Tief unten im vierhundert Meter langen Stollen, der übrigens eine Meisterleistung ist, denkt man etwa an die zur Verfügung stehenden Werkzeuge des noch jungen 12. Jahrhunderts, versuche ich an der Stollenwand zu kratzen. Und tatsächlich, der feucht-nasse helle Sandstein löst sich aus der Wand. Es sind aber nur wenige Stellen im Stollen, an denen das möglich ist.
Der größte Teil der Mauern ist durch das Steingewölbe geschützt. Der unterirdische Tunnel weist übrigens eine Besonderheit auf, erklärt uns die Führerin der Stollenbegehung. Im Zuge des Neubaus des Salzburger Doms durch Erzbischof Wolf-Dietrich (1559 – 1617) wurde der Domfriedhof aufgelassen und die nicht mehr benötigten Grabplatten wurden für die Ausgestaltung des Kanalbodens genutzt.
St. Petermühle (c) Wasserwerksgenossenschaft Almhauptkanal
WP: „Der Brunnen ist der Residenzbrunnen. Und zwar hat man das Brunnhaus als Wasserhebemaschine angelegt. Es wurde das Almwasser als Antriebsenergie genutzt, um ein Wasserrad zu betreiben.
Und dieses Wasserrad hat Kolbenpumpen angetrieben mit deren Hilfe zuerst das Fürstenbrunner Wasser, das in einer eigenen Leitung auch zum Brunnhaus geführt wurde, später dann das Hellbrunner Wasser, über den Mönchsberg hinüber und von dort dann durch eine dicke Bleileitung, um einen möglichst hohen Druck für die Springbrunnenfontäne zu erreichen, zum Brunnen geleitet wurde.“
Zu Anfang wurden mit dem Wasser die Mühlräder betrieben und auch die Wasserräder der Handwerksbetriebe. Außerdem diente die Wasserleitung als Entwässerungs- und Unratkanal. Um den Ausbruch von Seuchen zu erschweren siedelte Erzbischof Wolf- Dietrich die städtischen Fleischbänke “am Gries” an.
Durch den Aufstau des Almwassers konnten diese Einrichtungen überflutet werden, und so die Abfälle bis Ende des 19. Jahrhunderts auf kürzestem Weg in die Salzach gewaschen werden.
Übrigens: Durch den Stollen wird eine Wassermenge von 860 Litern pro Sekunde geleitet, wobei das vorhandene Gefälle von über vier Metern eine hohe Fließgeschwindigkeit bewirkt.
So wird auch heute noch das Stift St. Peter mit dem Wasser versorgt und es nutzen 17 Kraftwerke, darunter das Eichetwerk als ältestes Wasserkraftwerk Salzburgs, das Kraftwerk Pulvermühle der Stieglbrauerei und das städtische Notstromaggregat die Energie des Almkanal-Wassers.
Viele Nutzwasser-, Kühl- und Klimaanlagen benötigen das Almkanal-Wasser. So werden für die Klimatisierung des Festspielhauses aus dem Almkanal bis zu 200 m³ Kühlwasser pro Stunde entnommen. Daher kann auch die Almabkehr immer erst nach dem Ende der Festspiele stattfinden.
Dann wird, wie jedes Jahr im September, das gesamte Netz des Almkanals – und damit auch der Stollen im Mönchsberg – „wasserfrei“ gemacht. Das Wehr in Hangendenstein wird gesperrt. Für drei Wochen wird der Kanal dadurch – fast – wasserfrei, um genaue Begutachtungen vorzunehmen, Reparaturen zu machen oder Sperrmüll aus dem Kanal zu bergen.
Dann – und nur dann - ist jenes Zeitfenster offen, zu dem Interessierte die seltene Gelegenheit nutzen können, den Stiftsarmstollen zu besuchen. Und ein historisch bemerkenswertes Stück des „unsichtbaren“ Salzburg kennenzulernen.
– der Stollen ist insgesamt 400 Meter lang - hat im Nonntal begonnen, am Friedhof von St. Peter erreichen wir durch eine unscheinbare Türe wieder die Oberfläche der Stadt. Über uns thront die Festung Hohensalzburg.