Auch Köche können nicht zaubern
Exotische Lebensmittel sind in aller Munde. Das Abenteuer auf unseren Tellern fordert oft lange Transportwege und viel Energie für Kühlung und Verpackung. Die Herkunft vieler Lebensmittel lässt sich kaum nachverfolgen. Demgegenüber gebe es „eine Sehnsucht nach Regionalität“, so Food Trend Forscherin Hanni Rützler. Im Interview erklärt sie, was sich hinter den „lokalen Exoten“ verbirgt und warum es wichtig ist, neuen Produkten gegenüber aufgeschlossen zu sein.
eat&meet: Lokal exotisch – das klingt wie ein Widerspruch in sich. Woher kommt der Begriff?
Hanni Rützler: Ich sehe Local Exotics als Lösung für ein kulinarisches Paradox. Durch Corona entstand generell wieder mehr Interesse an der Region. Das hat sich auch auf das Kaufverhalten ausgewirkt. Aber wenn man sich konsequent mit regionalen Produkten ernähren will, wird es schnell einseitig. Wir wollen regionale Produkte essen, aber auch Abwechslung in den Ess-Alltag zu bringen. Die Local Exotics lösen für mich diesen Widerspruch auf. Viele Landwirtinnen und Landwirte sind auf der Suche nach Alternativen. Der Klimawandel verstärkt das Phänomen. Plötzlich wachsen durch die Wärme neue Obstsorten. Für andere Sorten wird es zunehmend zu heiß. Österreich wird trockener, Starkregen nimmt zu, wir haben Bodenprobleme auf vielen Ebenen. Wir müssen aktiv nach Lösungen suchen. Wir brauchen neue Lebensmittel, die regional wachsen. Ich denke da zum Beispiel an chinesische Datteln und Indianerbananen, die von einem Forschungsinstitut in Wien Essling angebaut werden. Solche Produkte bergen auch ein neues Potenzial für die Gastronomie.
eat&meet: Bananen und Datteln aus Österreich? Klingt spannend.
Hanni Rützler: Die Indianerbananen, auch Pawpaw genannt, kommen aus Nordamerika. Die schmecken nach Mango und Banane. Sie sehen aus wie längliche, leicht gebogene, grüne Mangos. Ich kenne sie aus Niederösterreich, aus dem Alchemistenpark. Dort gibt es wahnsinnig viele verschiedene Obstsorten. Von dort kenne ich auch die chinesischen Datteln. Die sehen aus wie Datteln, schmecken aber nach getrocknetem Apfel und ein bisschen nussig.
eat&meet: Welche Voraussetzungen sind notwendig, damit solche Pflanzen wachsen?
Hanni Rützler: Die Bodenqualität muss stimmen, man muss herausfinden, wieviel Trockenheit die Pflanzen aushalten, wie kälteempfindlich sie sind. Zum Glück gibt es von Seiten der Forschung schon Interesse, aber es muss insgesamt noch viel mehr geforscht werden. Es sind meistens einzelne Pioniere, die etwas Neues ausprobieren. Eine Überraschung waren die Erdnüsse. Wer hätte gedacht, dass die in Österreich so gut wachsen. Sehr erfolgreich sind auch Granatapfel, Feigen, Süßkartoffeln, Ingwer und Reis. Das geht nicht von heute auf morgen. Das ist ein Lernprozess und viel Arbeit, bis man weiß, ob es funktioniert. Wir können auf dem Gebiet noch sehr viel lernen, auch indem wir in andere Länder schauen: nach Usbekistan, Kasachstan, in die Balkan-Länder, nach Japan oder China.
"Um hervorragend zu kochen, braucht es hervorragende Ausgangsprodukte."
eat&meet: Wie gefragt sind die regional angebauten „Exoten“ in der Gastronomie?
Hanni Rützler: Es gibt engagierte Köchinnen und Köche, die in Netzwerken aktiv sind. Die wissen, dass der Zugang zu guten, frischen Produkten das Um und Auf ist. Auch Köche können nicht zaubern. Um hervorragend zu kochen, braucht es hervorragende Ausgangsprodukte – die findet man eher nicht bei den Großanbietern. Es ist nicht so, dass man in den Großmarkt geht und da ein riesiges Regal mit Local Exotics steht. Die meisten kaufen standardisierte Ware, die kommt aus der ganzen Welt. Es geht darum, lokale Produzent:innen und Gastronom:innen zusammenbringen. Wenn man sich kennt, geht es leichter.
eat&meet: Wie aufgeschlossen gegenüber innovativen Lebensmitteln aus regionaler Produktion sind die Gäste?
Das Zielpublikum sind neugierige Gaumen. Deshalb sind Initiativen wie eat&meet so wichtig, weil sie dazu beitragen, die Neugier zu wecken. Sie machen auf innovative Entwicklungen aufmerksam und zeigen, dass Salzburg nicht nur für Tradition steht, sondern sich kulinarisch am Puls der Zeit bewegt. Local Exotics sind ein Trend und noch lange nicht Mainstream. Aber der Trend entwickelt sich wahnsinnig schnell.
Es geht um die Weiterentwicklung der regionalen Esskultur.
eat&meet: Wenn wir über Garnelenzucht oder Meeresfische „made in Austria“ sprechen, fragen sich vielleicht manche Menschen, ob das notwendig ist?
Hanni Rützler: Fakt ist, wir essen unendlich viele Garnelen und Meeresfrüchte. Da ist Import ein Thema, Flüge sind ein Thema, die Kühlung ebenso, aber auch die Arbeitsbedingungen. Die regionale Zucht eröffnet hier nachhaltige Perspektiven. Und wir dürfen nicht vergessen: Unzählige Lebensmittel, die wir täglich essen, kommen ursprünglich nicht aus Europa. Tomaten kommen ursprünglich aus den Anden, Marillen aus Asien, um nur zwei Beispiele zu nennen. Sie sind – wie Kartoffeln – letztlich auch „Exoten“, die wir aber längst in unsere Küchen integriert haben. Und jetzt, mit dem Klimawandel, erleben wir eine weitere, neue „kulinarische Migration“. Wir bauen Oliven an, Reis, Artischocken. Wir reagieren auf den Klimawandel, um bewusst die Zukunft zu gestalten. Auch Garnelen aus heimischer Indoor-Produktion gehören für mich dazu. Es ist eine Frage der Transparenz, woher die Produkte kommen – und wie sie erzeugt werden. Und es geht um die Weiterentwicklung und Bereicherung der regionalen Esskultur.
So ein Fleisch isst man nicht täglich, aber sensorisch ist es spektakulär.
eat&meet: Abgesehen von Obst und Gemüse gibt es ja auch noch die Viehzucht. Was hat sich in dem Bereich getan?
Hanni Rützler: In der Viehzucht ist alles hochgradig standardisiert und auf Effizienz ausgerichtet. Mit den idyllischen Bildern der Almen hat das meist nichts zu tun. Im Bereich der regionalen Viehzucht gibt es aber einige Pioniere, die geschaut haben, welche alten Rassen es noch gibt. Da kamen dann wieder die Speckschweine, die in Ungarn überlebt hatten. Seit bei uns in den Achtzigern und Neunzigern bevorzugt magere Schweine gezüchtet wurden, sind die Speckschweine mit ganz dicken Fettschichten bei uns ausgestorben. Jetzt wurden sie wieder reintegriert. So ein Fleisch isst man nicht täglich, aber sensorisch ist es spektakulär. Interessant sind auch die Wagyu-Rinder aus Japan, die Rinder des Kaisers. Die bekommen Spezial-Fütterung und Handmassagen. Da geht es nicht um Quantität, es geht um Qualität. Oder Lamas, die sind wegen des Fells gefragt und schmecken gut. Die funktionieren einerseits für die Landwirtschaft, andererseits als Streichelzoo für den Tourismus am Bauernhof. Klimatisch passen sie wohl auch gut nach Österreich. Oder Zebu-Rinder: Die brauchen wenig Wasser und sind sehr effizient von der Futter-Fleisch-Umsetzung. Ich glaube, wir müssen insgesamt offener sein und experimentieren.
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