Ein Gastbeitrag von Erzabt Korbinian Birnbacher OSB
Fasten in monastischer Tradition
Gleich vorweg: Der Begriff Fastenzeit impliziert eine gewisse Engführung. Eigentlich spricht man von der
Quadragesima, der 40-tägigen österlichen Bußzeit. Denn es geht in der vierzigtägigen Vorbereitungszeit auf das Osterfest - die sechs Sonntage waren seit jeher ausgenommen! – nicht nur um eine religiös motivierte Entschlackungs- oder Abmagerungskur, sondern um eine ganzheitliche Vorbereitung. Gebet, Fasten (also Verzicht!) und Almosen sind seit jeher die drei komplementären Elemente der Quadragesima.
"Das Saltzburgische Kochbuch. Für hochfürstliche und andere vornehme Höfe” von Conrad Hagger (1719) (Foto Constantin Fischer)
Diese heiligen 40 Tage haben biblische Vorbilder:
- Mt 4,2: 40 Tage der Versuchung Jesu in der Wüste
- Gen 7, 4-6: 40 Tage der Sintflut
- Ex 16, 35: 40 Jahre zog das Volk Israel durch die Wüste
- Ex 24, 18: 40 Tage verbrachte Mose auf dem Berg Sinai
- Jona 3,4: 40 Tage Frist verkündet der Prophet Jona der Stadt Ninive
Heute fasten wir natürlich anders in unserer Wohlstandsgesellschaft als etwa in einer vorindustriellen, bäuerlichen Gesellschaft. Wir verzichten z. B. auf das Auto und nützen öffentliche Verkehrsmittel, wir fasten Plastik oder Bildschirm, wir verzichten auf soziale Kommunikationsmittel wie Facebook oder Twitter, um der virtuellen Welt zu entfliehen und wieder etwas näher dran zu sein am ungeschminkten, echten Menschsein.
Kirchliche Fastengebote
Seit jeher hat man aber auch immer wieder versucht, die Fastengebote zu umgehen. Die kirchlichen Fastengebote, von Papst Gregor dem Großen (590 – 604) eingeführt, untersagten vor allem während der vierzigtägigen Fastenzeit zwischen Aschermittwoch und Ostern den Genuss von Fleisch warmblütiger Tiere.
Warmblütige Tiere sind uns näher, Fische fremder, begründet das der Theologe Karl-Heinz Steinmetz vom Institut für Historische Theologie an der Universität Wien. Aber auch Milch, Butter und Käse waren lange verboten.
Erst im Biedermeier war zum Beispiel Schmalz wieder erlaubt, sagt Isabella Wasner-Peter, die in der Wienbibliothek die historischen Kochbücher betreut. Es war nur eine Mahlzeit am Tag erlaubt ... Stichwort
einmalige Sättigung.
"Das Saltzburgische Kochbuch. Für hochfürstliche und andere vornehme Höfe” von Conrad Hagger (1719) (Foto Constantin Fischer)
In den Kochbüchern vergangener Jahrhunderte wurden Fleischrezepte ziemlich ungerührt im Kapitel
Fische angeführt. Da steht dann etwa
Rohrhühnel in einer braunen Soß, und unmittelbar darüber ist zu lesen:
Von unterschiedlichen Fischen. Fischotter wurde in Wein gedünstet und mit Sardellennudeln serviert, Biberschlegel mit Zitronenschale, Essig und Kapern gewürzt oder mit Brotsauce angerichtet. Würstel machte man aus Krebsen, aus Hecht, aus Karpfen, falsche Kalbsschnitzel aus gebratenen Fischen, um möglichst nicht auf den gewohnten Genuss verzichten zu müssen.
Heringsschmaus im Hotel Sacher (Foto Kolarik)
Schlupflöcher und Täuschmanöver
Angesichts all dieser Schlupflöcher und Täuschmanöver ist klar: Fasten war in gewissen Kreisen irgendwann nur mehr Konvention. So wie sich Gesetz und Gerechtigkeit, ursprüngliche Intention und tatsächliche Praxis, auseinander entwickelt haben, so gab es auch ein Fasten, bei dem es gar nicht mehr ums Fasten ging. Während das Fastenkonzept laut dem Alten Testament immer aus den drei Säulen Fasten, Almosengeben und Beten bestehen sollte, uferte es tatsächlich aus. Die Fastenküche war alles andere als eine Anleitung zur Askese.
Fleischverbot
Mit dem Fleischverbot war das bekanntlich eine eigene Sache. Man erklärte, um den erlaubten Speiseplan zu erweitern, einfach alles zum Fisch, was irgendwie mit Wasser zu tun hatte, etwa mit dem Wortlaut
weil der Aufenthalt und hauptsächlich die Nahrung ihr Fleisch in Verwandtschaft mit jenem wirklicher Fische bringt. Mit solchen Argumenten wurden Fischreiher, Fischotter, Schildkröten, Duckenten, Stockenten, Biber, Schwäne, Schnecken, Frösche und sogar Meerschweinchen zu Fisch umfunktioniert. Beim Meerschweinchen geriet man etwas in Erklärungsnotstand, aber schließlich sprach ja der Name dagegen, dass es sich um ein Landtier handelte – logisch. Der Biberschwanz sah genauso aus wie ein Fisch, also konnte er doch keine fleischlichen Gelüste bieten. Mit der Zoologie nahm man es aber auch im Buddhismus nicht so ernst, erzählt Theologe Karl-Heinz Steinmetz:
Das Wildschwein hat man Bergwal genannt. Steinmetz, der sich mit seiner Firma Arcanime um das Erbe des traditionellen Heilwissens Europas kümmert und in Originalschriften forscht, weiß auch von einem Kardinal zu berichten, der aus dem Fleisch auf einer üppigen Tafel kraft seines Amtes kurzerhand Fisch machte:
Ich taufe dich auf den Namen Karpfen.
Kulinarischer Genuss bei eat & meet
Manches Fleisch war erlaubt. Warmblütige, vierbeinige Tiere durften nicht verzehrt werden. Enten und Gänse oder Fische und Krebse, so genannte Wassertiere, waren also ausgenommen. Einer Anekdote zufolge wurden deshalb in manchen Klöstern Spanferkel in den Brunnen geworfen, wieder herausgezogen und als
Fisch verzehrt. Ein Abt soll sogar versucht haben, ein Spanferkel zum Karpfen zu taufen. Beliebt soll es außerdem gewesen sein, Fleisch zu pürieren und in Form eines Fisches zu servieren.
Schwaben und Bayern
Die Schwaben waren nicht nur fleißige schaffende Häuslebauer, sondern auch schlaue Begründer ihrer Lebenspraxis: So gibt es im frommen Schwabenland heute noch
Herrgott’s B’scheißerle - schwäbische Maultaschen, die ihren fleischlichen Inhalt keusch unter einer Teighülle verbargen ... in der Meinung der Hergott würde das nicht sehen.
Doch auch im bayerisches Volksliedgut gibt es merkwürdige Sichtweisen. So etwa in einem Schnaderhüpfel, das den armen Mezger auf den Arm nahm. Es heißt dort, dass man diesen Leberkäs auch am Karfreitag essen dürfe,
weil – der Herrgott weiß es g’wiss! – der sowieso nur Brot und Wasser is’! Heringsschmaus im Hotel Sacher (Foto Kolarik)
Oder denken wir an das berühmte Zürcher Wurstessen, auch Froschauer Wurstessen genannt. Es fand am ersten Fastensonntag, dem 9. März 1522, in
Zürich statt. Dabei wurde im Hause des Druckers
Christoph Froschauer von Angehörigen der Zürcher
Ehrbarkeit und im Beisein mehrerer
Geistlicher demonstrativ gegen das geltende Abstinenzgebot verstoßen. Der
Reformator Huldrych Zwingli war anwesend, nahm aber am Wurstessen selbst nicht teil. Das Wurstessen hat für die
Reformation in der Schweiz wie die reformierte Kirche allgemein eine ähnlich bedeutende Rolle wie der Wittenberger
Thesenanschlag für die Reformation in Deutschland und die
lutherischen Kirchen.
Im Fasten und in der Askese groß zu sein hat seit jeher beeindruckt. So hat man auch die Lebensbeschreibungen großer Heiliger im nachhinein etwas
aufgepimpt, so etwa beim heiligen Nikolaus. Nikolaus soll bereits als Säugling so fromm gewesen sein, dass er an den klassischen Fastentagen der Woche, mittwochs und freitags, die Mutterbrust verweigerte und im Sinne der einmaligen Sättigung auch nur einmal pro Tag die Mutterbrust nahm.
Benediktiner
In der Benediktsregel gibt es ein eigenes Fastenkapitel 49. Dort heißt es:
Der Mönch soll zwar immer ein Leben führen wie in der Fastenzeit. Dazu haben aber nur wenige die Kraft. Deshalb raten wir, dass wir wenigstens in diesen Tagen der Fastenzeit in aller Lauterkeit auf unser Leben achten und gemeinsam in diesen heiligen Tagen die früheren Nachlässigkeiten tilgen. ... Gehen wir also in diesen Tagen über die gewohnte Pflicht unseres Dienstes hinaus durch besonderes Gebet und durch Verzicht beim Essen und Trinken. So möge jeder über das ihm zugewiesene Maß hinaus aus eigenem Willen in der Freude des Heiligen Geistes Gott etwas darbringen; er entziehe seinem Leib etwas an Speise, Trank und Schlaf und verzichte auf Geschwätz und Albernheiten. Mit geistlicher Sehnsucht erwarte er das heilige Osterfest. Was aber der einzelne als Opfer bringen will, unterbreite er seinem Abt.
Das will also heißen, dass man alle guten Vorsätze nicht im übereifrigen Alleingang, sondern in ruhiger Gelassenheit und mit dem aufrichtigen Rat eines guten Freundes vorher besprechen sollte, bevor man sie einfach irgendwie umsetzt. Man soll sich also weder in extreme Strenge flüchten noch in formalistischen Laxismus. Es geht beim Fasten um die richtige Richtung ... hin zu einem guten und sinnvollen Leben!
eat & meet - DAS KULINARIK FESTIVAL März 2017